Verlorenes Wissen
In der Menschheitsgeschichte ist eine Menge Wissen verloren gegangen und erst später wieder entdeckt worden. Wissen ist manchmal buchstäblich, in Flammen aufgegangen. Einst ließ der Pharao Ramses III. (1221 – 1156 v. Chr.) eine riesige Bibliothek zusammentragen, die durch Caesar 47 n. Chr. als dieser im Hafen von Alexandria seine Truppen wüten ließ, in Flammen aufging. Dabei wurden 700.000 Bände zerstört. Kleopatra bekam von der kleinasiatischen Bibliothek Pergamon 200.000 Bände geschenkt. Diese bildeten den Grundstock der neuen Bibliothek von Alexandria. Der römische Kaiser Diokletian (244 – 313 n. Chr.) ließ die Bibliothek vernichten. Ebenso der Khalif von Damaskus Umar Ibn al-Chattab (579 – 644 n. Chr.). Dieser befahl mit den Büchern des Museion von Alexandria alle Bäder der Stadt zu beheizen. Danach waren keine keine Schriften mehr vorhanden. In Süd- und Zentralamerika. ließ der Bischof Diego de Landa (1524 – 1579 n. Chr.) am 12. Juni 1562 alle Handschriften der Maya öffentlich verbrennen, wodurch ein Großteil ihrer Kultur verloren ging. In ihrem Wissen waren die Maya anderen Völkern weit voraus. Doch leider bleibt ihre Kultur weitestgehend ein Mysterium. Ein der größten Vernichtungsaktionen ist auf den türkischen Eroberer Bakhtiyar Khalji (gestorben 1206) zurückzuführen. Er ließ die gewaltige Bibliothek in der Nalanda-Universität (heute Bundesstaat Bihar, Indien) komplett zerstören. Die Sammlung umfasste 9 Millionen Bücher und galt somit auch als das größte Lehrzentrum der Antike. Auf Veranlassung von Papst Gregor IX. (1227 – 1241) wurden bei der sogenannten „Talmud Verbrennung“ in Paris 24 Wagenladungen jüdischer Bücher verbrannt. Die Schriften waren aus dem ganzen französischen Königreich zusammengetragen worden. Bei indigenen Völkern wurde Wissen traditionell nur mündlich weitergegeben. Wenn die Sprache eines Volkes verschwindet, verschwindet also auch das Wissen. Weltweit sind aktuell etwa 42 Prozent von den rund 7000 existierenden Sprachen vom Aussterben bedroht. So reduzieren sich die Chancen, neue Medikamente zu entdecken, denn viele Medikamente werden aus Heilpflanzen hergestellt, die nur den indigenen Völkern bekannt sind.
Im Amazonasgebiet in der Gegend rund um Manaus wurde kürzlich 8000 Jahre alter Superdünger entdeckt. Eine für die Gegend untypische schwarze Erde – auf Portugiesisch „Terra Preta“erweckte das Interesse der Wisssenschaftler. Rund drei Prozent der Fläche Amazoniens sind mit dieser schwarzen Erde bedeckt. Die Ureinwohner scheinen ein Rezept gehabt zu haben, um die unfruchtbare Erde in Amazonien fruchtbar zu machen: Sie sammelten Exkremente, Essens- und Pflanzenreste auf Komposthaufen und deckten diese mit Holzkohle ab. Diese zufällig entstandene Mixtur entwickelte sich über Hunderte von Jahren zu humusreicher schwarzer Erde. Noch heute wirkt die Terra Preta als langfristiger Superdünger.
Vermutlich verwendeten die Maya den so genannten Goldtüpfelfarn (Polypodium leucotomos), um Entzündungen wie Sonnenbrand zu behandeln. Dieses Mittel haben Forscher erst vor Kurzem wiederentdeckt. Der Farn könnte den Sonnenschutz revolutionieren und herkömmliche Sonnencreme ersetzen – und zwar in Form einer Pille. Forscher fanden heraus, dass der einzigartige Extrakt des Goldtüpfelfarns eine antioxidative Wirkung besitzt, durch die aggressive freie Sauerstoffradikale, welche die Haut altern lassen, neutralisiert werden. Neueste Studien belegen, dass der Extrakt sogar UV-Schäden minimiert, die trotz Sonnencreme in den Hautzellen entstehen. Es wird vermutet dassdie regelmäßige Einnahme dieser Pille einem permanenten Sonnenschutz mit einem Lichtschutzfaktor 15 gleichkommen könnte.

Die Römer kannten eine Art Superbeton. Sie verwendeten bei ihren Bauwerken einen speziellen Baustoff – Zement mit einer speziellen Beimischung aus Vulkanasche (= Pozzolane). Das sind mineralische Stoffe, die mit Kalkhydrat und Wasser eine Verbindung eingehen. Der Name leitet sich von der süditalienischen Ortschaft Puteoli (heute Pozzuoli) in der Nähe Neapels ab, wo bereits im Altertum große Mengen an puzzolanischer Vulkanasche gewonnen und als Zusatzstoff zur Herstellung des sogenannten römischen Betons „Opus Caementitium“ verwendet wurden. Es verleiht den Bauten bis heute eine unglaubliche Widerstandsfähigkeit. Pozzolane als Beimischung für den römischen Beton kam zum Beispiel bei römischen Großbauten wie dem Pantheon in Rom zum Einsatz. Nach dem Untergang des Römischen Reiches geriet die Zusammensetzung des Baustoffs in Vergessenheit. Das Rezept der Römer wurde erst vor kurzem wieder entdeckt. Dank des nun wiederentdeckten Wissens ist heutiger Beton widerstandsfähiger und sogar umweltfreundlicher.

Nach 400 Jahren gibt es jetzt eine Erklärung für das Mysterium der Bologneser Tränen. Bologneser Tränen (auch Bologneser Glastränen) sind kleine Glastropfen mit einem Kopf, der sich zu einem Schwanz verjüngt. Sie stehen durch die Art ihrer Herstellung derart unter Eigenspannung, dass der Kopf der Träne stark mechanisch belastbar ist und Hammerschläge aushält, der komplette Tropfen aber beim Abbrechen seines Schwanzes zu Glasstaub zerspringt. Im 17. Jahrhundert wurden die Tropfen für medizinische Zwecke in großer Zahl hergestellt: Man erhitzte Glas, zog es in die Länge und ließ es in Wasser rasch abkühlen.
Überlieferungen zufolge sollen die Wikinger einen Sonnenstein besessen haben, mit dessen Hilfe sie den Sonnenstand auch bei bedecktem Himmel exakt bestimmen konnten. Er diente als Navigationshilfe bei bewölktem Himmel, Nebel oder Dämmerung. Dafür gibt es ganz unterschiedliche schriftliche Hinweise, u. a. in dem isländischen Gesetzbuch Grágás. Eine Deutung besteht darin, dass es sich bei dem Sonnenstein um einen Kristall handelte, der als Polarisationsfilter wirkt. Durch die Lichtbrechung mit einem doppelbrechenden Kristall wie Calcit (Kalkspat) wird der einfallende Lichtstrahl in zwei Lichtbündel mit unterschiedlicher Stärke und Polarisationsrichtung aufgespalten. Durch Drehen und Wenden kann der Stein so ausgerichtet werden, dass die beiden Lichtbündel gleich stark sind. Die Blickrichtung zeigt dann genau in die Richtung der Lichtquelle, also der Sonne. Bei unbedecktem Himmel kann ein geübte Beobachter sogar ohne Hilfsmittel während Sonnenauf- oder -untergang ein Himmelspolarisationsmuster erkennen. Diese Fähigkeit ist auch ein Geheimnis der Tierwelt. Viele fliegende Arten, etwa Vögel und Insekten, etwa Bienen, orientieren sich am Polarisationsmuster des Sonnenlichts in der Atmosphäre. Auch Fledermäuse nutzen das Polarisationsmuster im Abendhimmel, um ihren inneren Magnetkompass zur Orientierung zu kalibrieren. Wie genau dies funktioniert, ist allerdings noch unklar. Der genaue Mechanismus wurde noch nicht entschlüsselt.
In Bald’s Leechbook, einer altenglischen medizinischen Handschrift aus dem 10. Jahrhundert steht ein Rezept für eine antibiotische Augensalbe die sogar gefährliche Superbakterien töten soll. Erste Tests lassen vermuten, dass die mittelalterliche Salbe multiresistente Staphylococcus aureus (MRSA) abtötet – jene Bakterienstämme, gegen die beinah sämtliche verfügbaren Antibiotika wirkungslos sind. Bestandteile der Salbe sind Knoblauch, Zwiebeln, Ochsengalle und Wein. Man nehme den Knoblauch und die Zwiebeln, gebe diese mit Wein und Ochsengalle in einen Kessel aus Messing, lasse die Mixtur neun Tage lang ruhen und filtere das Gebräu am Ende durch ein Tuch. Fertig ist die Salbe. Bald’s Leechbook wird heute in der British Library verwahrt und ist Gegenstand aktueller Forschung. Die Handschrift enthält zwei Bücher, die nach der damals in Arzneibüchern üblichen Herangehensweise Krankheiten vom Kopf bis zum Fuß ordnen. Dabei behandelt das erste Buch äußerliche Leiden, das zweite die Innere Medizin. Als Hauptquellen für die Rezepte gelten der griechische Arzt und Anatom Galenos, der griechische Arzt Antyllos und der griechische Arzt Soranos von Ephesos.

Das Griechische Feuer (flüssiges Feuer) war eine im byzantinischen Reich seit dem 7. Jahrhundert n. Chr. verwendete militärische Brandwaffe. Der letzte belegte Einsatz von Byzantinischem Feuer ist 1187 beim Aufstand von Alexios Branas. Nach der osmanischen Eroberung von Konstantinopel 1453 ging das Wissen darüber definitiv verloren. Das Rezept für die Herstellung des flüssigen Feuers ging mit dem Byzantinischen Reich unter. Es sind jedoch verschiedene Varianten überliefert, die alle Erdöl oder Asphalt als Grundlage hatten. Diese Stoffe traten im byzantinischen Reich in der Nähe des Schwarzen Meeres an der Erdoberfläche auf. Weitere, nicht immer vorhandene Bestandteile waren Baumharz oder Schwefel, ab dem 10. Jahrhundert wahrscheinlich auch Salpeter. Die Details der Herstellung sind jedoch nicht überliefert. Die häufig angenommene Selbstentzündung des Gemisches im Wasser ist nicht belegt. Es gab aber eine Variante, die Pyr automaton genannt wurde, eine Paste, die aus einer Kombination von Petroleum (Naphtha) mit Schwefel, Holzpech und ungelöschtem Kalk hergestellt wurde und sich durch einen Tropfen Wasser angeblich selbst entzündete. In tönerne Gefäße gefüllt, ließen sich diese antiken Vorläufer der Granaten mit Hilfe von Katapulten hinter jede Festungsmauer schießen.

Reismörtel (oder Reis-Kalk-Mörtel) ist ein historischer Baustoff, der durch die Zugabe von klebrigem Reis oder Reiswasser zu Kalkmörtel hergestellt wird, um dessen Stabilität und Haltbarkeit massiv zu erhöhen. Grund ist das Polysaccharid Amylopektin. Der Stoff bildet eine wasserabweisende, steinerne Struktur und verhindert Risse. Schon vor hunderten Jahren wurde in China Reiswasser zum Anrühren von Mörtel benutzt – was zu einer enormen Haltbarkeit der chinesischen Mauer beigetragen hat. Das Amylopektin im klebrigen Reis spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulierung des Wachstums der Kalziumkarbonat-Kristalle, schafft eine dichtere Mikrostruktur und versorgt den Mörtel mit hydrophoben Eigenschaften. Die Zugabe von klebrigem Reiswasser zu den üblichen Mörtelzutaten (Kalk und Sand) nach traditionellen Rezepturen war ursächlich für die lange Haltbarkeit der damit errichteten Bauwerke. Die Ziegel der Chinesischen Mauer etwa werden durch Klebreismörtel zusammengehalten. Um 500 n. Chr. wurde Klebreissuppe mit gelöschtem Kalk vermischt, um einen anorganisch-organischen Verbundmörtel herzustellen, der fester und wasserbeständiger als Kalkmörtel war. Der stabile Baustoff wurde vor rund 1500 Jahren entwickelt und war eine der größten technologischen Innovationen seiner Zeit. Die Technik ist uralt, die wissenschaftliche „Wiederentdeckung“ und Bestätigung der beeindruckenden Haltbarkeit dieses uralten Rezepts aus Kalk und Reiswasser (Amylopektin) fand im frühen 21. Jahrhundert statt. Noch heute wird erverwendet um historische Gebäude wieder instandzusetzen.