Schwarmintelligenz

Bestimmte große Gruppen von Lebewesen, wie Vogel- oder Fischschwärme, besonders aber die Staaten eusozialer Insektenarten, wie Bienen, Ameisen, Termiten u. a.  können ihr Verhalten so koordinieren, dass die gesamte Gruppe zum Beispiel gemeinsam Nahrung suchen oder  Predatoren (Räuber) vermeiden kann. Es handelt sich um die am höchsten integrierte Form des Sozialverhaltens bei Tierarten. Kennzeichnend für eusoziale Verbände sind:

  • kooperative Brutpflege durch mehrere Tiere
  • gemeinsame Nahrungsbeschaffung und auch – verteilung, zum Beispiel durch gegenseitige Fütterung (1Trophallaxis)
  • der Verband umfasst mehrere unterscheidbare Teilgruppen, die arbeitsteilig verschiedene Aufgaben erfüllen. Beispiele sind etwa Nahrungsbeschaffer (Arbeiter) und Verteidiger (Soldaten) in den Staaten der Termiten.
  • Zusammenleben von Tieren mehrerer Generationen, meist in Familienverbänden aus Müttern und Töchtern

Eusozialität bedingt ein hohes Maß an Uneigennützigkeit, weil einige Individuen zugunsten anderer, mit denen sie in der Regel nahe verwandt sind, auf eigenen Nachwuchs verzichten. Eine Erklärung dieses Verhaltens versucht die Evolutionsbiologie. Eigentlich müsste Uneigennützigkeit evolutiv nachteilig sein. Individuen, die Gene für altruistisches Verhalten besitzen, haben schließlich weniger eigene Nachkommen als solche ohne sie, wodurch das Verhalten von der Selektion eigentlich ausgemerzt werden müsste.  Eine Lösung des Problems ist z. B. die Gruppenselektion oder das Konzept der Verwandtenselektion. Ein lange Zeit ungelöstes Problem der Evolutionstheorie war, wie in der Tierwelt infolge der natürlichen Auslese soziale Verbände entstehen konnten und wie es zu Verhaltensweisen der Kooperation und Fürsorge kommen konnte. Es stellte sich die Frage, warum Individuen manchmal zugunsten anderer Individuen die eigene Fortpflanzung einschränken, oder sogar ganz darauf verzichten (z. B. Insektenstaat, einige Säugetiergemeinschaften).

Der britische Biologe William D. Hamilton  (geb. 1936) veröffentlichte 1964 die Theorie, dass sich uneigennütziges Verhalten sozialer Insekten aufgrund der engen genetischen Verwandtschaft der Koloniemitglieder in der Evolution durchgesetzt hat. Verhaltensbiologische Phänomene wie 2Altruismus zwischen Verwandten oder Kindstötung bei Rudelübernahme können so auf der Basis „eigennütziger Gene“ erklärt werden. Mit zunehmender genetischer Verwandtschaft (= Anzahl gemeinsamer Gene) kann die Tendenz zum Konkurrieren (Konkurrenz) abnehmen, die Tendenz zum Altruismus dagegen zunehmen. Das Ausmaß an selbstlosem Verhalten richtet sich dabei nach dem Verwandtschaftskoeffizienten (Grad der Verwandtschaft): Je enger Tiere miteinander verwandt sind, desto häufiger ist selbstloses Verhalten anzutreffen.

Gruppenselektion wiederum  ist ein angenommener Mechanismus der Evolution, bei dem die natürliche Selektion auf Gruppenebene statt auf der Ebene des Individuums oder der Gene wirkt . Einzelne Organismen lernen im Laufe ihres Lebens, ihr Verhalten in zeitlich ausgedehnten Einheiten zu strukturieren. Beispiele für Verhaltensweisen, die die Gruppenselektion zu beeinflussen scheinen, sind etwa die gemeinsame Jagd, wie sie etwa bei Löwen und anderen sozialen Fleischfressern vorkommt, die gemeinsame Aufzucht der Jungen, wie sie etwa bei Elefanten vorkommt, und Systeme zur Raubtierwarnung, wie sie etwa bei Präriehunden und Erdhörnchen zum Einsatz kommen. Die Gruppenentscheidung bildet sichdabei  über Rückkopplung heraus, indem jedes Individuum sein Verhalten an demjenigen seiner Nachbarn ausrichtet und diese seinerseits in ihrem Verhalten beeinflusst. Einige koordinierte Interaktionen werden dabei indirekt durch die Veränderung der Umwelt ermöglicht. So nehmen nestbauende Termiten oder Wespen-Arten die Gestalt des entstehenden Nests in ihrer Umgebung wahr und reagieren darauf durch Anpassung ihrer eigenen Bautätigkeit. Dadurch entsteht die koordinierte Gestalt des Nestes, ohne dass die bauenden Individuen sich jemals direkt darüber abstimmen oder einen Gesamtplan im Kopf hätten. Einige Tiere kommunizieren aber auch direkt. Ameisen bilden Pfade (Ameisenstraßen), indem sie den zurückgelegten Weg mit Pheromonen markieren. Je mehr Ameisen einen Pfad nutzen, umso attraktiver wird er. Durch diesen einfachen Mechanismus können Ameisenvölker die kürzesten und effizientesten Pfade zwischen ihrem Nest und ergiebigen Nahrungsquellen ermitteln. Ganz ähnlich können Bienen über den Schwänzeltanz ihren Nestgenossinnen nicht nur die Lage von Futterquellen mitteilen, sondern durch den Kontakt mit mehreren so rekrutierenden Individuen finden sie auch heraus, welches die ergiebigsten Futterquellen sind. Durch solche, relativ einfache, positive und negative Rückkoppelungen wird nicht nur das Verhalten ganzer Völker koordiniert, sondern auch Kooperation bei der Erfüllung komplexer Aufgaben geschaffen: durch „Zusammenarbeit“ bei einzelnen Aufgaben (was evolutionäre Vorteile schafft).

 Linie

1Als Trophallaxis wird die Weitergabe von flüssiger Nahrung vom Mund oder After eines Tier zum anderen bezeichnet. Sie ist bei sozialen Insekten und vielen brutpflegenden Wirbeltieren entwickelt. Wirbeltiere wie einige Vogelarten, Grauwölfe und Vampirfledermäuse ernähren ihre Jungen z. B.  durch Hochwürgen von Nahrung. Bienen etwa sammeln  Nektar sammelt und  speichern ihn in ihrem Kropf (oder Magen). Wenn die Biene zum Stock zurückkehrt, würgt sie den Nektar wieder hoch und gibt ihn an eine Hausbiene weiter, die ihn weiterverarbeitet.

2Altruismus ist uneigennütziges und selbstloses Verhalten, welches die Fitness des einen Lebewesen erhöht, während es augenscheinlich die eigene Fitness verringert. Dabei werden eigene Ressourcen aufgewendet zum Vorteil der Anderen.