Die seltensten Erkrankungen
Die seltensten der Seltenen: Es gibt 6.000 unterschiedliche sehr seltene Erkrankungen, auch Orphan Diseases genannt, wovon nur circa 5% erforscht sind. Jährlich kommen circa 250 neue Erkrankungen hinzu, daher ist die Gesamtzahl der Betroffenen trotz der Seltenheit der einzelnen Erkrankung hoch. Allein in Deutschland leben Schätzungen zufolge etwa vier Millionen Menschen mit einer Seltenen Erkrankung, in der gesamten EU geht man von circa 30 Millionen Betroffenen aus. Über 70 Prozent der Seltenen Erkrankungen sind genetisch bedingt oder mitbedingt, selten sind sie heilbar. Oft sind Gendefekte die Ursache Seltener Erkrankungen, so dass überproportional häufig Kinder und Neugeborene betroffen sind. In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind.
Die Symptome von seltenen Erkrankungen treten meist schon kurz nach der Geburt auf, da 80 Prozent dieser Leiden genetisch bedingt sind. Ein Großteil der „Orphan diseases“ sind auf ein einzelnes Gen zurückzuführen und Gentherapeutika können diese Defekte im Genom der Betroffenen reparieren. Typischerweise wird dafür Genmaterial mit der korrigierten DNA-Abfolge durch eine virale „Genfähre“ in das Erbgut des Betroffenen eingeschleust. Viren sind gut geeignete Gen-Träger, denn sie sind von Natur aus darauf ausgerichtet, ihr Erbgut in Zellen einzuschleusen. Dafür docken sie an die Oberfläche von menschlichen Zellen an und injizieren ihr Erbgut. Daraufhin fangen die Zellen an, die in der Erbsubstanz codierten Proteine zu produzieren. Die Entwickler von Gentherapien machen sich diesen Vorgang zu Nutze: Sie entfernen alle für den Menschen schädlichen Gene des Virus und ersetzen sie durch den „gesunden“ DNA-Abschnitt, der den Patienten sonst fehlt. Doch die Symptome von seltenen Erkrankungen sind vielfältig und komplex – das erschwert die richtige Diagnose.
| Fibrodysplasia ossificans progressiva (FOP) Diese seltene Krankheit geht mit einer fortschreitenden Verknöcherung von Strukturen des Binde- und Muskelgewebes einher – Betroffenen wächst sozusagen ein zweites Skelett über das Erste. Die FOP wird durch eine Gain-of-Function-Mutation des ACVR1-Gens ausgelöst, das für den Aktivin-A-Rezeptor Typ 1 kodiert. Der Rezeptor wird durch knochenmorphogenetische Proteine (BMPs) aktiviert und spielt in der Embryonalphase eine entscheidende Rolle bei der Knochen- und Knorpelbildung. Bei normaler Entwicklung ist die Aktivität des Rezeptors strikt reguliert, durch die Mutation wird jedoch die Inaktivierung gestört. Schon die kleinsten Gewebeverletzungen führen sofort zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands, da sich anstatt von neuen Gewebezellen neues Knochengewebe bildet. |
| Hutchinson-Gilford-Progerie Dem autosomal-dominant vererblichen Hutchinson-Gilford-Syndrom liegt ein Defekt des LMNA-Gens auf einem Allel von Chromosom 1 (1q21.3) vor, das für das Protein Lamin A/C kodiert.Menschen mit dieser Erkrankung altern etwa fünf bis zehnmal schneller als normale Menschen und sterben in der Regel vor dem 15. Lebensjahrmeistens an einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall. Eine Therapie um das beschleunigte Altern aufzuhalten gibt es bisher nicht. Die Patienten bleiben kleinwüchsig und weisen Skelettdeformitäten (schnabelförmige Nase, Gelenkkontrakturen, gegebenenfalls Hydrozephalus) auf. Die Haut erscheint durchscheinend, das Unterhautfettgewebe fehlt fast komplett. Haare, Fingernägel und Zähne bilden sich nicht vollständig aus, das Milchgebiss persistiert. Eine Geschlechtsentwicklung durch Pubertät findet nicht statt. Die Intelligenz entwickelt sich in aller Regel altersgemäß. |
| Desmoplastischer Rundzelltumor Desmoplastische klein- und rundzellige Tumoren, kurz DSRCT, sind seltene, aber aggressiv verlaufende Weichteiltumoren, die vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auftreten. Der Tumor bildet sich vor allem im Bauchfell, welches das Innere des Bauchraums auskleidet, breitet sich in die Lymphknoten aus und streut hauptsächlich in die Leber. Bis der Tumor entdeckt wird, ist er meist schon sehr groß gewachsen und besitzt Eigenschaften, die ihn resistent gegen eine Behandlung mit Bestrahlung und Chemotherapie machen. DSRCT sind zytogenetisch durch eine spezifische Translokation (t(11;22)(p13;q12)) charakterisiert, die zur Fusion des Ewing-Sarkom-Gens EWS mit dem Wilms-Tumor-Gen WT1 führt. Einfacher gesagt, ursächlich für DSRCT scheint zu sein, das zwischen zwei unterschiedlichen Chromosomen ein Austausch eines DNA-Abschnitts stattfindet, der ein neues Gen entstehen lässt. Dieses, so wird vermutet, ist für die Entstehung und das unkontrollierte Wachstum des Tumors verantwortlich. |
| Syndromale Mikrophthalmie Typ 5 Diese genetisch bedingte Krankheit ist gekennzeichnet durch verschiedene Anomalien an den Augen (Anophthalmie, Mikrophthalmie, Netzhautanomalien) und starken Verzögerungen der körperlichen Entwicklung. Außerdem sind Teile des zentralen Nervensystems wie der Hippocampus oder die Hypophyse fehlgebildet. |
| Ribose-5-Phosphat-Isomerase-Mangel Der genetisch bedingte Mangel des wichtigen Enzyms Ribose-5-Phosphat-Isomerase gilt als die seltenste bekannte Erkrankung. Bisher gibt es nur drei beschriebene Fälle von dieser schweren Stoffwechsel-Krankheit, die sich vor allem auf die weiße Substanz des Gehirns auswirkt. Die Ribose-5-Phosphat-Isomerase spielt eine wichtige Rolle in einem Stoffwechselweg, der Teil der Umwandlung von Glucose zum chemischen Energieträger Adenosintriphosphat (ATP) ist. Die Patienten leiden aufgrund des fehlenden Enzyms an einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung und haben eingeschränkte Kontrolle über ihre Bewegungen und Motorik. |
| Amyotrophe Lateralsklerose Die Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS, ist eine fortschreitende Erkrankung der motorischen Neuronen, die zu Muskellähmung führt. Die Krankheit ist nicht heilbar und führt – meist innerhalb weniger Jahre (3-5) – zum Tod. Das Degenerieren der ersten Motoneurone führt zu einem erhöhten Muskeltonus (spastische Lähmung). Durch Schädigung der zweiten Motoneurone kommt es zu zunehmender Muskelschwäche (Parese bis Plegie), die mit Muskelschwund einhergeht. Durch die Lähmungen der Muskulatur kommt es unter anderem zu Gang-, Sprech- und Schluckstörungen, eingeschränkter Koordination und Schwäche der Arm- und Handmuskulatur. Der Tod tritt häufig infolge von Lungenentzündung ein, deren Entstehung durch den Verlust des Schluckvermögens und die Lähmung der Atemmuskulatur begünstigt wird. An ALS litt der berühmte Astrophysiker Stephen Hawking, der einen bedeutenden wissenschaftlichen Beitrag zur Allgemeinen Relativitätstheorie und dem Verständnis schwarzer Löcher leistete. |
| Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis Bei dieser seltenen Autoimmunerkrankung bildet der Körper Antikörper gegen den NMDA-Rezeptor, der eine wichtige Rolle bei der Signalübertragung im Gehirn spielt. Der Körper greift dadurch das eigene Gehirn an. Bei der anti-NMDA Rezeptor-Enzephalitis stören Antikörper die Signalübertragung im Gehirn: Der Rezeptor, an den die Neurotransmitter Glutamat und Glycin binden, wird durch die Antikörperbindung in die Zelle aufgenommen. Somit kommt es zu einer verminderten Signalübertragung an Neuronen des zentralen Nervensystems. Bei den Betroffenen treten Psychosen wie Halluzinationen, epileptische Anfälle und Bewusstseinstrübungen bis zum Koma auf. |