Die Propheten
Aufbau der prophetischen Bücher des Alten Testaments
Zu den prophetischen Büchern des Alten Testaments gehören die vier großen Propheten Jesaja, Jeremia, Ezechiel, Daniel und die zwölf kleinen Propheten Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zefanja, Haggai, Sacharja, Maleachi. Letztere werden zusammengefasst auch als »Zwölfprophetenbuch« (Dodekapropheton) bezeichnet. Das Christentum übernahm die zwölf Propheten als Einzelbücher in sein Altes Testament und ließ sie als „kleine“ den „großen“ Propheten folgen. Die Zwölfzahl spielt auf die Zwölf Stämme Israels als Nachkommen des Stammvaters Jakob an, wie es Jesus Sirach 49,10, der früheste ausdrückliche Hinweis auf die Einheit des Zwölfprophetenbuches, erkennen lässt:
Sie [die zwölf Propheten] brachten Heilung für Jakobs Volk und halfen ihm durch zuverlässige Hoffnung.“
Die zwölf Propheten sind wie alle Propheten Israels die Künder des richtenden und rettenden Willens JHWHs an sein Volk, daneben auch an die Fremdvölker, die dieses Volk bedrängen und/oder durch die Gott seinen Willen an Israel vollzieht. So beginnen sieben der Bücher mit einer Wortereignisformel, sei es als Überschrift, sei es als Aussage:
„Dies ist das] Wort JHWHs, das erging an …“
„Und es erging das Wort JHWHs an …“
Gott hat seinen Willen für ganz Israel längst selbst offenbart: Die am Berg Sinai durch Mose übergebenen Gebote sind die bleibende Gestalt und Norm dieses Willens. Alle Propheten Israels dienen der Erinnerung an diesen Willen. Dies gipfelt im Wiederkommen Elijahs, des einzigen Propheten, der Gott wie Mose am Gottesberg begegnete (1 Kön 19,1–18 ), den er aber nicht sterben ließ, sondern lebend in den Himmel aufnahm.(2 Kön 2,1–11) .
Die vorderen Propheten haben ihre Botschaft zunächst mündlich ausgerichtet. Um ihre Botschaft zu erfassen, unterscheidet man zwischen dem gesprochenen Prophetenwort, das von den einzelnen Propheten in ihrer Zeit verkündet wurde, und dem Prophetenbuch, in das ihre Aussagen eingegangen, gesammelt und überliefert worden sind. Für das Christentum spielen die messianischen Verheißungen in den Prophetenbüchern eine besondere Rolle. So wird in der Immanuelsverheißung (Jesaja 7,14) die Geburt eines Retters angekündigt: „Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm den Namen Immanuel geben. Matthäus identifiziert Jesus in Mt 1,23 als den in Jes 7,14 verheißenen Sohn mit Namen Immanuel: „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott ist mit uns.“ Diese Stelle wird im Christentum als Beleg für Jesu Messianität und seine Jungfrauengeburt verstanden. Weitere Verheißungen sind: Der künftige Herrscher wird ein Nachkomme Davids sein (Jeremia 23,5-6) und aus Betlehem kommen (Micha 5,1-3). Ein Stern würde seine Geburt ankündigen (4. Mo 24,17). Er wird als Friedenskönig herrschen (Jesaja 9,1-6) und auf einem Esel reiten (Sacharja 9,9-10). Er würde Wunder tun. (Jes 35,4-6). Blinde sehend machen, Stumme redend machen, Gelähmte heilen und von Dämonen Besessene freimachen. Er würde an ein Holz (d.i. ein Kreuz) gehängt werden (5. Mo 21,23). Diese und ähnliche Aussagen werden im Neuen Testament auf Jesus Christus bezogen. Damit bilden die prophetischen Bücher einen Übergang zum Neuen Testament.
Jesaja
Über den Propheten Jesaja ist wenig bekannt. Er soll im Zeitraum von 740-700 v. Chr. gewirkt haben. Seine Berufung, die er in einer Vision im Jerusalemer Tempel erfährt, wird in das Jahr 736 v. Chr. datiert (6,1). Jesaja steht mit dem Königshaus in Verbindung und hat Zugang zum königlichen Palast (22,15-24). Im Buch Jesaja lassen sich drei Buchteile unterscheiden. Im zweiten Abschnitt des ersten Buchteils tehen Gerichtsworte über andere Völker (13-23) und die »Jesaja-Apokalypse«, die einen Ausblick auf das Ende der Welt und die Zukunft Israels gibt (24–27). Das von Jesaja angekündigte Gericht ist mit der Zerstörung Jerusalems 586 v. Chr. und der Wegführung der Judäer nach Babylonien eingetroffen. In diese neue Situation weist nun die Botschaft des namentlich nicht bekannten Propheten, den man den zweiten Jesaja (Deuterojesaja) nennt. Seine Botschaft enthält die Hoffnung, dass Gott die Judäer in einem »neuen Exodus« nach Jerusalem zum Zion zurückbringen wird. Der frühere Auszug aus Ägypten soll überboten werden durch den wunderbaren Auszug der Gefangenen aus Babylonien. Dazu wird ihnen eine Straße durch die Wüste verheißen. Jes 40,3: Eine Stimme ruft: Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße für unseren Gott!, auf der sie unter dem Jubel der Natur in die Heimat zurückkehren werden : Jes 55,12: Voll Freude werdet ihr fortziehen, / wohlbehalten kehrt ihr zurück. Berge und Hügel brechen bei eurem Anblick in Jubel aus, / alle Bäume auf dem Feld klatschen Beifall. Im dritten Buchteil wird erwähnt dass der Tempel in Jerusalem inzwischen wiederaufgebaut wurde. Am Ende des Buchs wird dann nochmals auf das endzeitliche Heil eingegangen, dass Gott die Welt umfassend erneuern wird – Jes 65,17: Denn schon erschaffe ich einen neuen Himmel / und eine neue Erde. Man wird nicht mehr an das Frühere denken, / es kommt niemand mehr in den Sinn , und als Botschaft für alle Völker entfaltet – Jes 66,18-19: Ich kenne ihre Taten und ihre Gedanken und komme, um die Völker aller Sprachen zusammenzurufen, und sie werden kommen und meine Herrlichkeit sehen. Ich stelle bei ihnen ein Zeichen auf und schicke von ihnen einige, die entronnen sind, zu den übrigen Völkern: nach Tarschisch, Pul und Lud, Meschech und Rosch, Tubal und Jawan und zu den fernen Inseln, die noch nichts von mir gehört und meine Herrlichkeit noch nicht gesehen haben. Sie sollen meine Herrlichkeit unter den Völkern verkünden.
Jeremia
Das Buch Jeremia ist das längste Prophetenbuch und beschäftigt sich hauptsächlich mit den letzten Jahrzehnten des Königreichs Juda und seiner Eroberung durch den babylonischen König Nebukadnezzar 586 v. Chr. Nach der Überschrift (1,1-3) stammt der Prophet Jeremia aus der Priesterschaft von Anatot, einem kleinen Ort 5 km nordöstlich von Jerusalem. Jeremia wird im Jahr 627 v. Chr. berufen und zum Propheten für die Völker bestimmt – Jer 1,5: Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt, zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt. Die im Buch enthaltenen Erzählungen geben im zweite Buchteil (26–45) einen Einblick in sein Schicksal. Danach wird Jeremia zur Zeit des Königs Zidkija (597–586 v. Chr.) verhaftet, ins Gefängnis geworfen und später in den Wachhof des Königspalastes überstellt. In einer Unterredung mit dem König warnt Jeremia davor, am Widerstand gegen den babylonischen König festzuhalten. Doch Zidkija hört nicht auf ihn. So wird Jerusalem von Nebakudnezzar erobert. Jeremia kommt aus seiner Gefangenschaft frei und folgt dem zum Statthalter über Juda eingesetzten Gedalja in die Stadt Mizpa. Doch Gedalja wird schon bald ermordet. Als die restlichen Judäer das Land verlassen und nach Ägypten ziehen, werden auch Jeremia und sein Schreiber Baruch dorthin verschleppt. In Ägypten verliert sich ihre Spur.
Ezechiel/Hesekiel
Das Buch ist nach dem Propheten Ezechiel benannt, für den auch die Namensform Hesekiel gebräuchlich ist. Nach den im Buch enthaltenen Datierungen hat Ezechiel im Zeitraum von 593–572 v. Chr. als Prophet unter den nach Babylonien weggeführten Judäern gewirkt. Im Kern ist das Prophetenbuch in Babylonien entstanden, und zwar bei den Judäern, die sich dort nach der Wegführung aus Jerusalem 597 v. Chr. angesiedelt hatten. Der Prophet Ezechiel stammt aus priesterlichen Kreisen in Jerusalem. Er gehört zu einer Gruppe angesehener Judäer, die Nebukadnezzar bereits im Jahr 597 v. Chr. nach Babylonien verschleppen ließ. Als sein Aufenthaltsort wird die Siedlung Tel-Aviv angegeben, die an einem Seitenkanal des Eufrat liegt. Dort erfährt er 593 v. Chr. in einer Vision seine Berufung zum Propheten (2,1-10). Im Zentrum seiner Verkündigung steht zunächst die Ankündigung, dass Gott den Tempel in Jerusalem zerstören wird. Das geschieht als Strafe für den Götzendienst und das Unrecht, das die im Land gebliebene Bevölkerung verübt. Außerdem wird der Prophet von Gott zum »Wächter« seines Volkes bestimmt, der die Menschen warnen und zur Umkehr bewegen soll (3,16-21; 33,1-20). Die Verkündigung des Ezechiel beeindruckt durch ihre teilweise rätselhaften Botschaften und seltsamen Zeichenhandlungen (4–5; 12; 24). Typisch für den Propheten sind Bilderreden. In ihnen geht er mit der Stadt Jerusalem scharf ins Gericht. Sie wird als Frau vorgestellt, die sich schamlos der Hurerei hingegeben hat (16; 23). Ein wichtiges Thema ist auch die Frage nach der Wirkung menschlicher Schuld. Dabei stellt Ezechiel unmissverständlich klar, dass Kinder nicht für die Schuld der Väter haften. In jeder Generation wird jeder Einzelne für seine Vergehen zur Rechenschaft gezogen. Nur das Tun von Recht und Gerechtigkeit kann vor Schuld bewahren, die dann Strafe nach sich zieht (18,1-20). Zu den Texten, die eine große Wirkung entfaltet haben, gehört auch der Text von Gottes Sieg über Gog aus dem Land Magog (38–39). Darin geht es um einen geheimnisvollen Herrscher, der am Ende der Zeit zu einem letzten Kampf gegen Israel heranzieht. Im Neuen Testament wird in der Offenbarung des Johannes auf diesen Text Bezug genommen (Offenbarung 20,7-10).
Daniel
Das Danielbuch ist die jüngste Schrift, die in die hebräische Bibel aufgenommen wurde. Man datiert Daniel in die Regierungszeit des seleukidischen Herrschers Antiochus IV. Epiphanes (175-164 v. Chr.). Als einziges Buch des Alten Testaments gehört es zur apokalyptischen Literatur. Darunter versteht man Schriften, die sich mit den Ereignissen am Ende der Zeit befassen und eine umfassende Erneuerung der Welt durch Gott erwarten. Das Danielbuch gliedert sich in zwei Abschnitte: Der erste Teil (1−6) erzählt von Daniel und seinen drei Freunden, die von Nebukadnezzar II. aus ihrer Heimat an den babylonischen Hof weggeführt wurden. Sie bewahren sich ihre jüdische Identität, indem sie an dem Gebot festhalten, nur Gott allein zu verehren und sich kein Bild von Gott zu machen (5. Mose/Deuteronomium 5,6-8). Im zweiten Teil (7−12) folgen die Visionen Daniels und ihre Deutung durch einen Engel. Besondere Bedeutung besitzt die Schlussvision (10−12), die in einer großen Geschichtsschau die Ereignisse von der persischen Zeit bis zur Entweihung des Tempels unter Antiochus IV. Epiphanes schildert. Ab 11,40 geht sie in eine Weissagung über das Ende der Zeit über. Wichtig ist die in der Schlussvision geschilderte Erwartung, dass zur Zeit des letzten Gerichts die Toten auferweckt werden (12,1-3).