Stigmata

Als Stigmatisation  wird das Auftreten von Wunden am Körper eines lebenden Menschen bezeichnet, die aus einer spezifischen religiösen Haltung als Wundmale Christi gedeutet werden. Die auftretenden Male gelten als nicht therapierbar, sollen aseptisch sein und zu keiner Wundinfektion führen. Meist sollen sie periodisch in Zeiten, die liturgisch mit der Passion verbunden sind, bluten. Stigmatisation ist im Alten ebenso wie im Neuen Testament unbekannt. Die Anzahl der Träger mit sichtbaren und spontan blutenden Wundmalen dürfte 100 nicht überschreiten. Der Arzt Franz Lothar Schleyer wies 1948 für eine medizinische Studie knapp 70 gesicherte Fälle nach. Fast immer zeigen (meist sehr junge) Frauen dieses Phänomen; es soll sich dabei meistens um Frauen aus der ländlichen Unterschicht gehandelt haben, mit geringer Schulbildung, starker Verwurzelung im katholischen Glauben und frühem Interesse für Mystik, verbunden mit ebenfalls früher Kränklichkeit. Der Begründer des Ordens der Minderbrüder Franz von Assisi und Pater Pio sollen die einzigen männlichen Stigmatisierten gewesen sein. Der erste von der römisch-katholischen Kirche anerkannte Fall von Stigmatisation ist der des Franz von Assisi. Seine Stigmatisation soll sich am 14. September 1224 ereignet haben, wurde aber erst mit seinem Tode bekannt. Als sich Franziskus im Spätsommer des Jahres 1224 auf den Berg La Verna zurückzog, wo er seit 1212 eine kleine Felsnische als Einsiedelei benutzte, soll ihm ein am Kreuz hängender Mann erschienen sein. Über die Deutung dieser Erscheinung sinnierend, seien bei Franziskus nach Aussage der Biographen selbst Wundmale sichtbar geworden, die sie als Einprägung der Wundmale Christi deuteten. Bei der Heiligsprechung des Franz von Assisi benannte Papst Gregor IX. die Stigmatisation als entscheidendes Argument. Die erste Frau, die Stigmata erhalten haben soll, war die Mystikerin Christina von Stommeln (1242–1312), deren Reliquien sich heute in Jülich befinden; eine Wunderheilung des Grafen Dietrich IX. von Kleve sorgten für eine lokale Verehrung, aufgrund derer sie 1908 seliggesprochen wurde. Am Schädel der Seliggesprochenen sind Spuren zu sehen, die als Spuren einer Dornenkrone gedeutet werden.

Zu den bekannten Stigmatisierten in neuerer Zeit zählen die Augustiner-Chorfrau und Mystikerin Anna Katharina Emmerick, Maria von Mörl, die Tiroler Adelige und Mystikerin Therese Neumann aus Konnersreuth,  der Kapuziner und Ordenspriester Pater Pio. Dieser soll auch über die Gaben des Heilens, der Prophetie und der Seelenschau verfügt habe. Eine weitere  Stigmatisierte war die französische Mystikerin Marthe Robin. Bekannte zeitgenössische Stigmatisierte sind der italienische Ordensmann Bruder Elia (* 1962), die griechisch-katholische Syrerin Myrna Nazzour (* 1964) und   Mariam Thresia Chiramel Mankidiyan, eine indische Ordensschwester der syro-malabarischen Kirche.

Einige Mediziner und Theologen gehen von einer überwiegend natürlichen, psychogenen Ursache der Stigmatisation aus. So können die Stigmata im Rahmen einer psychosomatischen Symptombildung auf dem Hintergrund intensiver religiöser Phantasien spontan, das heißt ohne Manipulation, entstehen. Andere Mediziner meinen Stigmata seien vielfach die Folge von „dissoziativen Identitätsstörungen, d. h. die Verletzungen werden von einem abgespaltenen Teil der Persönlichkeit selbst zugefügt und können deshalb nicht erinnert werden. 

Die Behauptung, dass offene Wunden über viele Jahre hinweg (bei Pater Pio sogar 50 Jahre lang) nicht heilten, sich aber auch nicht entzündeten oder eiterten und dies medizinisch nicht erklärt werden könne, ist umstritten.

Handstigmata sind in der Regel auf der Handinnenseite oder dem Handrücken zu sehen. Es gilt heute jedoch als wahrscheinlich, dass bei antiken Kreuzigungen der Nagel in der Nähe der Handwurzel zwischen Elle und Speiche des Unterarms eingeschlagen wurde. Merkwürdig ist, dass die Wunden bei Stigmatisierten meist so auftreten, wie die Annagelung Jesu am Kreuz künstlerisch dargestellt wird. Zeigen sich die Kreuzeswunden Jesu am Handrücken, dann haben die Personen dort Wunden am Handrücken. Werden hingegen Wunden an den Gelenken dargestellt, treten sie auch dort auf.