Gnostizismus

Als Gnosis oder Gnostizismus werden verschiedene religiöse Lehren und Gruppierungen des 2. und 3. Jahrhunderts n. Chr., bezeichnet. Die Gnosis entwickelte sich im 2. Jahrhundert zum theologischen Hauptgegner der frühen Kirche.

Eine der am weitesten verbreiteten Bewegungen der antiken Gnosis waren die Valentinianer, eine von den Schülern des Gnostikers Valentinus (* wahrscheinlich um 100 n. Chr.; † nach 160 n. Chr.) vertretene gnostisch-christliche Lehre. Da ein guter Schöpfergott angenommen wurde, stellte sich Valentinos die Frage nach der Herkunft des Elends in der Welt. Die Anwort:  Der Ursprung der Finsternis und des schlechten Materiellen wird in der Gottheit selbst angesiedelt. Es gab vor der Schöpfung einen Sündenfall des Göttlichen selbst, durch den die materielle Welt entstand. Erkenntnis ist der ursprüngliche Zustand des Göttlichen, während Unwissenheit eine Störung ist, die einen Teile des Göttlichen befällt und sich letztlich in Materie niederschlägt. Dieser Zustand ist aber durch Erkenntnis wieder umkehrbar. 

Zu den zentralen Inhalten der Gnosis gehören die folgenden Thesen:

Es gibt einen vollkommenen allumfassenden Gott.
Durch einen eigenmächtigen bzw. selbstbezogenen Akt in den Äonen tritt ein unvollkommener Gott ins Dasein. Dieser wird Demiurg oder Schöpfergott genannt, weil er seinerseits eigenmächtig das materielle All erschafft.

  • Der Demiurg wird in vielen gnostischen Schriften mit JHWH identifiziert, dem Gott des alten Testaments der Bibel
  • Daher gehen die Gnostiker davon aus, dass Jesus von Nazareth nicht der Sohn des Gottes der Juden ist, sondern – als eine Inkarnation des Christus – das Kind der vollkommenen Gottheit, also geistig verstanden, nicht etwa körperlich (Christologie, bzw. Lehre von Jesus Christus).
Ebenfalls erschafft der Demiurg den Menschen und verbringt diesen in immer dichtere Materie.
Die Schöpfung (und der Mensch) tragen jedoch grundsätzlich das Prinzip der ursprünglichen vollkommenen Gottheit in sich, von dem sie nicht zu trennen sind.
Einige gnostische Strömungen sehen die materielle Welt inklusive des Menschen als „böse“ an, andere legen den Schwerpunkt auf das innewohnende geistige Prinzip, das den Rückweg zur geistigen Vollkommenheit respektive vollkommenen Gottheit ermöglicht.
Das innewohnende geistige Prinzip, auch Pneuma, muss dem Menschen in Abgrenzung zur Psyche bewusst werden, um die Verhaftungen an die materielle Welt erkennen und lösen zu können.

Einer der bedeutendsten Theologen des 2. Jahrhunderts, Irenäus von Lyon nennt in seinem großen Werk Adversus Haereses, Gegen die Häresien, als Ziel der Gnosis die Erlösung des Menschen durch Erkenntnis. Dieses Heil gibt es allerdings nur für die Seele, nicht für den Leib des Gnostikers, da dieser vergänglich ist und dahin schwindet (I, 24,5). Dieses Wissen entstammt nicht dem eigenem Forschen, es ist religiöses Offenbarungswissen. Nur der Empfängliche und Auserwählte kann darüber verfügen, deshalb hat es einen esoterischen Charakter. Gegen diese geheime Überlieferung, in der das Wort sich nur den Vollkommenen erschließt, stellt Irenäus die These auf: Jesus Christus ist die Wahrheit, die er selbst und die Apostel offen und klar verkündet haben, so dass sie allgemein bekannt wurde. Mit vollkommener Erkenntnis begabt haben die Apostel sie gepredigt und auch nieder geschrieben, wodurch sie auch ihren Nachfolgern in der Kirche überliefert ist. Das Wissen der Gnosis ist jedoch kein Alltagswissen. Es sollen damit keine Menschenwerke vollbracht werden. Das Wissen soll Weisheitswissen sein und zur Flucht aus der Welt helfen. Dieses Wissen nehmen die Gnostiker von überallher, aus Zoroaster, aus Homer, aus Platon, aus der Bibel, allerdings mit großen Umdeutungen. Der Gnosis liegt ein dualistisches Weltbild zugrunde, das alle ihre Aussagen auf kosmologischer und anthropologischer Ebene prägt. Getragen wird dieser Dualismus von einem monistischen Gedanken, der sich in der Abwärts‐ und Aufwärtsentwicklung des göttlichen Funkens ausdrückt und der die Grundlage für die Gleichsetzung von Menschheit und Gottheit ist. Eingebettet in diesen Dualismus auf monistischem Hintergrund ist die Gotteslehre der Gnosis, die vor allem durch die Vorstellung vom unbekannten Gott jenseits alles Sicht‐ und Verfügbaren bestimmt ist.  Eine große Rolle spielt die Weltschöpfung oder Kosmogonie, die eine Erklärung bieten will für den gegenwärtig unglücklichen Zustand des Menschen. Die dem göttlichen Pol, der als Licht bezeichnet wird, entgegengesetzte Seite ist die Finsternis, die unterschiedlich dargestellt wird, in der Hauptsache aber physisch als Materie und psychologisch als Unwissenheit oder Vergessenheit. Aus dem Dualismus folgt auch die Ablehnung des Alten Testamentes, insbesondere des Schöpfergottes der Genesis. Schöpfung ist das Hervorbringen dieser gemischten Welt, in der das Gute unter dem Chaos leiden muss. Ein guter Gott kann diese Welt nicht gewollt haben, und wenn er es nicht hindern konnte, ist er kein Gott. 

Gott bleibt zwar in seiner Größe unerkennbar,  nicht aber in seiner Liebe. Die unmittelbare Offenbarung erfolgt durch das Wort, den Sohn. Er lässt durch den Lauf der Geschichte die Unsichtbarkeit des Vaters sichtbar werden. Die Schöpfung selbst ist schon Offenbarung.