Die Flamingofabrik
Im äußersten Norden Tansanias, an der Grenze zu Kenia, liegt eine einzigartige Naturregion – der Lake Natron.
Der See mit seiner rötlichen Färbung ist das größte Brutgebiet der Zwergflamingos in Ostafrika. Der See liegt im westlichen Teil des Amboseli-Kilimajaro-Gebietes. Die rote Färbung des Sees, wird von Spirulina Algen verursacht, die im stark alkalischen Wasser leben. Zu diesen halophilen Organismen gehören auch einige Cyanobakterien, z.B. Arthrospira, die in den Spirulina Algen leben. Sie stellen wie Pflanzen ihre eigene Nahrung mit Photosynthese her. Das rote akzessorische Photosynthese Pigment in den Cyanobakterien erzeugt die tiefen Rottöne des offenen Wassers des Sees und die orangefarbenen Farben der flachen Teile des Sees. Von den Spirulina Algen leben wiederum so genannte Salinenkrebschen, die wiederum die Flamingos ernähren, die sie mit ihren spezialisierten Schnäbeln aus dem Wasser filtern. Die rote Farbe reichert sich in dieser Nahrungskette an und verleiht den Zwergflamingos, die den Natronsee als Brutstätte nutzen, ihre intensiv-rosa Farbe. Der See ist der größte Brutplatz des Zwergflamingos in Ostafrika – hier brüten bis zu 2,5 Millionen Vögel; zeitweise – je nach Wasserstand und Salzgehalt anderer Seen – ist der Natronsee sogar das einzige Brutgebiet für Zwergflamingos in ganz Ostafrika. Das nomadische Zugverhalten der Zwergflamingos ist bis heute nicht geklärt. Ist es ein Instinkt, eine innere Uhr? Wie die Flamingos wissen wann die Zeit gekommen ist den See aufzusuchen, ist ein bisher ungelöstes Rätsel der Tierwelt. Alle Flamingos aus der ganzen Umgebung versammeln sich zwischen September und Dezember an diesem einen See, um auf Partnersuche zu gehen und sich zu paaren. Ebenso unberechenbar wie das Zugverhalten ist das Fortpflanzungsverhalten. Auch hier herrscht Unklarheit, welche Faktoren die Zwergflamingos wann zur Brut bewegen. Meist pflanzt sich ein Individuum alle zwei Jahre fort, in günstigen Zeiten jedoch auch jährlich, in schlechten Zeiten manchmal jahrelang nicht. Wenn der Wasserpegel des Natronsees sinkt, entstehen schlammige Inseln, auf denen die Zwergflamingos brüten. Dort legen sie auch ihre Nester an. In diese werden die Eier gelegt und bebrütet bis die Jungtiere schlüpfen. Jedes Jahr erblicken über 1,5 Millionen Zwergflamingos an diesem See das Licht der Welt. Tatsächlich werden rund 75 % der weltweiten Zwergflamingopopulation im Natronsee geboren. Die Wassertemperaturen des Sees liegen häufig um 40/60 Grad Celsius. Die Größe des abflusslosen Sees schwankt im Rhythmus der Regenzeiten. Am Ende der Regenzeit kann die Wasserfläche auf über 1000 Quadratkilometer anwachsen, am Ende der Trockenzeit reduziert sie sich auf wenige Quadratkilometer. Die Tiefe beträgt maximal drei Meter. Im See sind große Mengen Natriumcarbonat (Soda) gelöst, die aus der Vulkanasche des benachbarten, immer noch aktiven Vulkans Ol Doinyo Lengai stammen, der einzige Vulkan der Erde mit niedrigschmelzender, im Wesentlichen aus Natriumcarbonat (Soda) bestehender Lava. Der pH-Wert des Wassers im See schwankt je nach Wasserspiegel zwischen pH 9 und pH 10,5. Mit dieser starken Salinität und Alkalinität kommen nur wenige Tiere zurecht, z. B. einige Buntbarsche, endemische Algenarten, verschiedene hochspezialisierte Wirbellose und Vögel; allen voran die Zwergflamingos.
Der rosarote Zwergflamingo ist ein herausragendes Beispiel für evolutionäre Evolution. Die Vögel haben zahlreiche Anpassungen an ihren extremen Lebensraum entwickelt, den außer ihnen und ein paar anderen Flamingos kaum ein anderes großes Lebewesen gut zu nutzen weiß. Eine der wichtigsten Anpassungen daran sind die nackten Beine: Sie widerstehen dem ätzenden Wasser und sind lang genug, um die Flamingos weit über der Salzlauge zu halten. Der Schnabel der Zwergflamingos hat sich in einen hochspezialisierten Filterapparat gewandelt. Der große Schnabel ist in der Mitte nach unten geknickt. Innen befinden sich mehrere Reihen horniger Lamellen, die ihrerseits mit winzigen Borsten besetzt sind. Damit filtern sie ihre Nahrung aus dem Wasser. Während der Nahrungsaufnahme schwingt der Zwergflamingo den Schnabel im flachen Wasser schnell hin und her, 17 Mal pro Sekunde saugt er Wasser in den Schnabel wieder ein beziehungsweise presst es wieder heraus. Auf diese Weise filtriert die Zwergflamingokolonie am Lake Natron täglich schätzungsweise etwa 36 Tonnen Spirulina platensis aus dem Wasser, bei Beständen von etwa 180.000 Tonnen. Die Verluste durch die Flamingos werden aber durch eine ebenso hohe Vermehrungsrate wieder ausgeglichen.
An einem Großteil der Orte, wo Zwergflamingos leben, finden sich auch Rosaflamingos. Die verschiedenen Arten leben dicht nebeneinander, machen sich jedoch keine Konkurrenz um Nahrung. Das ist der Bauweise ihrer Filterschnäbel geschuldet: Die des Zwergflamingos sind extrem fein, um das Cyanobakterium Spirulina platensis überhaupt aus dem Wasser filtern zu können. Diese Nahrung ist für Rosaflamingos zu klein, während die Nahrung der Rosaflamingos, Artemia salina, für die feinen Lamellen der Zwergflamingo zu groß ist. Ein weiteres Beispiel für evolutionäre Anpassung.